Ergotherapie in Nairobi
Herausforderungen, Chancen und interkulturelle Einblicke
Text von Julia Volk

Die Child Destiny Foundation (CDF) in Nairobi, Kenia ist ein multidisziplinäres Therapie- und Tageszentrum, das sich auf die Förderung von Kindern mit Entwicklungsverzögerungen und Behinderungen spezialisiert hat. Ergotherapeut:innen begegnen hier Kindern mit vielfältigen neurologischen, orthopädischen und psychosozialen Krankheitsbildern, deren Familien – kulturell bedingt in erster Linie Mütter – mit besonderen Herausforderungen wie Zugang zu Diagnostik, medizinischer Versorgung und Therapien konfrontiert sind.
Unterstützung für Kinder mit ICP oder ASS
In das Therapie- und Tageszentrum kommen einige Kinder, die an Infantiler Zerebralparese (ICP) oder Autismus-Spektrum-Störung (ASS) erkrankt sind. Die CDF selbst wurde von Menschen gegründet, deren Kinder selbst eine Behinderung haben oder die als Therapeut:innen tätig sind.
In Kenia, wie auch in den meisten anderen Teilen Afrikas, bedeutet Behinderung große Belastungen für Familien. Neben dem gesellschaftlichen Ausschluss und Stigmatisierung gibt es beispielsweise kein Sozialsystem, das so wie in Europa Unterstützung bietet. Das Finanzieren von Therapien und bedarfsgerechter Versorgung ist für die betroffenen Menschen und deren Familien daher nur selten möglich. Genau aus diesem Grund gibt es das Therapie- und Tageszentrum, welches sich in Kibera, dem zweitgrößten Slum Afrikas, befindet. Das multiprofessionelle Team vor Ort – bestehend aus Ergotherapie, Physiotherapie, Sozialer Arbeit, Psychologie und Tagesbetreuung – erfüllt das Haus mit Humor, Menschlichkeit, Kompetenz und unermüdlichem Engagement. Den Kindern, die hier täglich zur Therapie kommen, wird aufrichtiges Interesse geschenkt und Kommunikation findet mit ihnen auf Augenhöhe statt. Darüber hinaus werden ihre Bedürfnisse respektvoll wahrgenommen sowie ihre Fähigkeiten gezielt gefördert. Neben der direkten Arbeit mit den Kindern, wird auch der Zusammenarbeit mit den Eltern große Aufmerksamkeit geschenkt, um einen nachhaltigen Therapieerfolg zu sichern und alltagsnahe Unterstützung zu bieten. Aktuell wird intensiv nach Physiotherapeut:innen und Logopäd:innen gesucht, die sowohl das Team erweitern als auch die Kinder unterstützen und in ihrer Entwicklung fördern können.
Schwierige strukturelle Rahmenbedingungen
In Kenia ist der Zugang zu medizinischer Diagnostik stark von sozioökonomischen Faktoren abhängig. Der Besuch bei einem Facharzt oder einer Fachärztin ist für viele Familien finanziell nicht möglich.
Die gesellschaftliche Stigmatisierung von Kindern mit Behinderung stellt ein zusätzliches Hindernis dar. Viele Familien fürchten soziale Ausgrenzung oder die Zuschreibung übernatürlicher Ursachen und meiden aus Angst davor teilweise frühzeitige Interventionen. Öffentlich finanzierte Unterstützungsmöglichkeiten sind nur stark begrenzt verfügbar. Hinzu kommen fehlende Betreuungsmöglichkeiten und mangelnde Infrastruktur. Oftmals verlassen Väter die Familie, sobald ein Kinder mit Behinderung zur Welt kommt. Die Mütter sind dann für die Versorgung ihres Kindes und das Verdienen des Familieneinkommens alleine zuständig. Eine Doppelbelastung, die oft dazu führt, dass Mütter nicht arbeiten können und in Armut abrutschen oder dass Kinder mit Behinderung den ganzen Tag Zuhause alleine, ohne nötiger Versorgung und Therapie im Bett liegen müssen. Diese Faktoren führen nicht selten dazu, dass Kinder mit erheblichem Entwicklungsrückstand ins Therapietageszentrum kommen.
Das kenianische Gesundheitssystem ist geprägt von einer Koexistenz öffentlicher und privater Einrichtungen. Während staatliche Kliniken oft unterbesetzt und überlastet sind, bieten private Einrichtungen eine bessere Versorgung – allerdings zu hohen Kosten. In vielen Fällen erfolgt die medizinische Erstversorgung traditionell über den Hausarzt oder die Hausärztin oder Community Health Worker. Eine Überweisung in spezialisierte Therapiepraxen wie die CDF ist häufig nur auf Eigeninitiative der Eltern möglich. Die Therapiekosten sowie Mahlzeiten sind dort für die Kinder zum Großteil spendenfinanziert.
Ergotherapie im Fokus
Sowohl in Österreich als auch in Kenia bildet die klient:innenzentrierte Befunderhebung die Grundlage der Planung in der Ergotherapie. Während in Österreich strukturierte Assessments wie zum Beispiel das Canadian Occupational Performance Measure (COPM) eingesetzt werden, erfolgt die Befundung in Kenia vorwiegend beobachtungsbasiert, da standardisierte Tests oft nicht verfügbar, leistbar oder kulturell nicht validiert sind.
Die Zielsetzung erfolgt auch in der CDF betätigungsorientiert und klient:innenzentriert. Therapieziele orientieren sich dabei auch an den funktionellen Alltagsanforderungen der Kinder und Familien. Ressourcenorientiertes Arbeiten stellt ebenfalls einen zentralen Aspekt der Ergotherapie in der CDF dar, da Kinder mit Behinderung, entgegen der gesellschaftlichen Erwartung, sehr wohl am Leben teilhaben und oft Teilschritte von Betätigungen wie Spielen oder Essen selbstständig oder mit Hilfsmitteln ausführen können.
Im kenianischen Therapiesetting zeigt sich ein hoher Stellenwert an manuellen Techniken. Neurophysiologische Konzepte wie zum Beispiel Bobath sowie manuelle Mobilisationstechniken und passive Dehnungen werden regelmäßig in der Ergotherapie angewendet.
Die Arbeit der CDF zeigt eindrucksvoll, wie unter schwierigen strukturellen Bedingungen mit Engagement, Fachwissen und interdisziplinärer Zusammenarbeit nachhaltige therapeutische Unterstützung für Kinder mit Behinderungen in Kenia geleistet werden kann. Ergotherapie übernimmt dabei eine zentrale Rolle in der Förderung von Teilhabe, Selbstständigkeit und Lebensqualität vieler Kinder und Familien.
Quellen
Eigene Beobachtungen und Erfahrungen während meines Aufenthalts in der CDF, Nairobi, 2019.